ÜBER MICH

Ralf Kleine

Durch das junge und doch schon beeindruckend reife Werk des Bildhauers Ralf Kleine zieht sich wie ein roter Faden die beharrliche, ja besessene Suche nach einer figürlichen Formensprache.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends,
im Zeitalter digitaler Kunstformen, scheinen Ralf Kleine‘s Bronzeskulpturen klassische Werte „retten“ zu wollen.
Sie wirken auf den ersten Blick wie seltsame fremde Wesen aus früheren Jahrtausenden,
gleichsam wie archäologisch geborgene und durch die Zeit veränderte griechische Statuen.
In Wirklichkeit jedoch und bei näherer Betrachtung ist das Schaffen von Ralf Kleine überhaupt nicht rückwärts gerichtet.

Seine Figuren sind „zeitlos“ im Sinne einer permanenten Gegenwärtigkeit. Sie stellen nichts Spezifisches dar, sind mit nichts beschäftigt, sind weder „Schreitende“, „Sich Entldeidende“ noch „Schreiende“.
Im Gegensatz zu solchermassen bewegter PIastik, die im Sichtbaren nur ein Ausschnitt aus einer Folge von Bewegungen, nur ein Moment aus einem Ablauf ist, den der Betrachter mitvollziehen muss, sitzen die Figuren von Ralf Kleine in einer so allgemeinen Art und Weise dass sie weder Vergangenheit noch Zukunft erfordern.

Ralf Kleine‘s Figuren sind unpathetisch, aber nicht affektlos. Die Affekte sind jedoch nicht individuell geprägt und im Ausdruck allgemein. Auch auch bei Händen oder Füssen, Haaren oder Gewändern findet sich dieses Zurückdrängen oder Vermeiden aller ablenkenden Details. Die Affektivität von Ralf Kleine‘s Figuren drückt sich vielmehr in der formalen Gesamtheit der Figur aus, in der zeichenhaft dargestellten und aufgebrochenen Körperlichkeit, in den brüchigen und aufgerissenen Oberflächen, in den zusammengedrückten, gewundenen, um die Längsachse gedrehten,
beengten Körperhaltungen. Von hier aus gewinnt das „Affektive“ allerdings besondere Bedeutung als durchaus abstrakter
Ausdruck allgemeiner seelischer Befindlichkeit, die als tiefgehende Verletzung, permanente Schutzlosigkeit und Isolation oder
-mit einem heutigen Ausdruck – als seelische Fragmentation beschrieben werden kann.

Es ist gut möglich, dass die Figuren von Ralf Kleine durch dieses Aufeinandertreffen zeitloser, „archaischer“ Präsenz und der
beschriebenen „modernen“ Affektivität beim Betrachter ein Gefühl der Empathie, der „Berührung“ oder – um wieder einen
heutigverbreiteten Ausdruck zu gebrauchen, der „Betroffenheit“ hervorrufen. Die Reaktionen auf seine Bronze- und Steinfiguren „Köpfe“,
„Generation-Tor“,“Philemon und Baucis“ und „Menschenbild“ in vier öffentlichen Gebäuden des Kantons Zürich belegen diese Vermutung eindrücklich.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends ist der Bildhauer Ralf Kleine deshalb nicht auf dem Weg, klassische Werte zu „retten“.
Er entwickelt vielmehr überlieferte Sichtweisen auf schöpferische Art für eine zeitgenössische, und öffnet damit den Blick auf eine sehr aktuelle Befindiichkeit.

Christoph Held, Zürich 2001